Wer in den 10er Jahren über das Thema Digitalisierung sprach, nahm meist auch im selben Atemzug das Wort Disruption in den Mund. Nach häufiger Meinung zwingen disruptive Technologien Unternehmen dazu, sich mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen, um am Markt bestehen bleiben zu können.
Durch die Corona Pandemie ist klar geworden, dass sich auch andere externe Faktoren disruptiv – also zerstörerisch – auf bestehende Prozesse auswirken können. Ausschlaggebend war und ist auch noch in diesem Fall der Übergang von einer Ausnahmesituation hin zu einem „neuen Normal“. Megatrends wie „New Work” haben das Potential, Arbeitskulturen nachhaltig zu verändern. Angekündigte Filialschließungen z.B. bei Mediamarkt/Saturn oder Douglas werden mit einer schneller werdenden Umsatzverschiebung Richtung Online-Kanäle begründet. Kostenseitig erwarten Unternehmen, dass die vorherige Anzahl der Geschäftsreisen auch nach Corona nicht mehr erreicht werden wird.
Wie wirken sich solche sozio-ökonomischen Veränderungen auf den B2B Handel aus? Es kann zu Recht argumentiert werden, dass Filialschließungen nur den B2C Handel betreffen oder Geschäftsreisen lediglich für interne Bereiche digitalisiert werden. Und natürlich wird der Einkäufer, der seit Jahren seine Produkte bei seinem Absprechpartner bestellt, sicherlich auch in Zukunft diesen Prozess beibehalten wollen. Während diese Standpunkte kurz- und mittelfristig noch Bestand haben mögen, beschleunigt jedoch die Corona Pandemie die Art und Weise, wie B2B Unternehmen zukünftig agieren sollten, um langfristig erfolgreich sein zu können.
Im Folgenden werden vier Themenblöcke beschrieben, welche in den nächsten Jahren weiter an Relevanz gewinnen und für eine erfolgreiche B2B Commerce essentiell sein werden.
1. Information Supply Chain
Eine zentrale Position in einer erfolgreichen Digitalstrategie nimmt die effiziente und strukturierte Erfassung, Veredelung und Ausspielung von Produktdaten und Produktmedien ein. Zu oft werden heute noch Produktdaten manuell in Excel/Access bearbeitet und per Email an verschiedenste Empfänger versandt. Eine Aktualisierung dieser Daten verbraucht oftmals ein fast ebenso hohes Maß an internen Ressourcen und wird aus diesen Gründen gerne bis auf Weiteres verschoben.
Welche Rolle spielen Produktdaten denn im B2B Kontext? Natürlich eine sehr wichtige! Wir erinnern uns an Mediamarkt/Saturn. In einem Printprospekt werden vielleicht zehn Produktmerkmale und ein Bild angegeben. Im Webshop werden für dasselbe Produkt acht bis neun mal mehr Merkmale und Bilder ausgespielt. Die Bereitstellung dieser Informationen obliegt in der Regel dem Hersteller, ein klassisches B2B Szenario.
Eine Aktualisierung von Produktdaten findet häufig in der Lebensmittel- oder der chemischen Industrie statt, wo Allergenhinweise oder neue Zertifikate zeitnah veröffentlicht werden müssen. Auch hier führt ein manueller Prozess zu hohen internen Kosten.
Qualitativ hochwertig und aktuell gepflegte Produktdaten ermöglichen schlussendlich ein schnelles und vereinfachtes Finden von Produkten durch den Nutzer. Facettierte Suchen und Variantendarstellungen unterstützen den Nutzer und erleichtern den Informationsbeschaffungs- und Entscheidungsprozess. Die Einführung geeigneter Technologien wie Produktinformationssysteme (PIM Systeme) oder Digital Asset Management (DAM) Systeme zur Optimierung einer produktbezogenen Datenverwaltung und -ausspielung wird ein entscheidender Erfolgsfaktor für Hersteller sein.
2. Multi-Channel Kommunikation
Neben dem bestehenden (Offline) Direktvertrieb und eventuell einem eigenen Online-Shop existieren noch weitere Kanäle, über die B2B Unternehmen ihre Produkte vertreiben. Dazu zählen z.B. EDI- oder E-Procurement Systeme aber auch B2B-Marktplätze. Ergänzt werden diese Vertriebskanäle durch verschiedenste Kommunikationswege, wie Unternehmenswebseiten, Social Media Kanäle und natürlich Messen oder Printmedien.
Die systematische Orchestrierung und automatische Bespielung der jeweiligen Kanäle wird ebenfalls von zentraler Bedeutung für einen erfolgreichen B2B Handel sein. Neben den schon beschriebenen Produktdaten und -medien spielen hierbei auch allgemeine Inhalte eine Rolle. Die zeitgleiche Veröffentlichung eines neuen Produktes über alle Kanäle und (internationale) Märkte bindet heute noch sehr viele interne Ressourcen, da jede Nachricht für jeden Kanal oftmals manuell erstellt werden muss. Spätestens bei dem Wunsch zur Ausspielung personalisierter beziehungsweise zielgruppenspezifischer Inhalte werden traditionell denkende Unternehmen an ihre Grenzen gelangen und gegenüber einem modernen Wettbewerb einen Nachteil haben.
Die sinnvolle Integration moderner Content Management Systeme (CMS) unterstützt Unternehmen bei der effizienten Erstellung und Ausspielung von Inhalten.
3. (Self-) Service Plattformen
Im engeren Sinn wird unter Self-Service normalerweise die eigenständige Verwaltung von Lieferadressen oder die Einsicht von Bestellhistorien oder Ähnliches verstanden. Im weiteren Sinne zählen dazu auch alle Tätigkeiten, die ein Nutzer jederzeit durchführen kann, um für einen Kauf entscheidungsrelevante Informationen zu erhalten. Neben einer einfachen, geführten Produktsuche zählen dazu unter anderem kundenindividuelle Preise, Verfügbarkeiten, verbindliche Lieferzeiten, sonstige Aufschläge und Produktkonfigurationen.
Auch die digitale Anfrage individueller Angebotskonditionen oder Rabattmodelle werden an Bedeutung gewinnen. Der Onlineshop wird also mehr als nur ein Verkaufskanal sein. Er wird die zentrale Anlaufstelle für alle Arten von Services. Die Bereitstellung aktueller und individueller Preise, Bestell- und Lieferdokumente, Angebote oder Servicetickets muss in diesem Fall durch eine entsprechende CRM/ERP Integration gewährleistet werden. Welche Informationen Kunden konkret erwarten, sollte unbedingt abgeglichen werden. Oftmals stimmen Kundenerwartungen und angebotene Information nicht überein (ibi research: „Online-Kaufverhalten im B2B-E-Commerce“, 2019).
Der Einsatz sogenannter Progressive Web Applications (PWA’s) wird für solche Hersteller zunehmend sinnvoll sein, deren Kunden größtenteils mobil arbeiten und nicht über einen kontinuierlichen Internetzugang verfügen. Das Scannen und sofortige Bestellen eines benötigten Ersatzteils erhöht den Kundennutzen. Die nachgelagerte Übermittlung der Bestellung an das ERP/WaWi erfolgt ohne weitere Interaktion des Kunden.
4. Kollaboration und Veränderungsmanagement
Die wahrscheinlich größte Herausforderung ist weniger technischer Natur, sondern wird in Form veränderter Prozesse und der Form des Zusammenarbeitens zwischen Abteilungen bestehen. Die Identifikation der vielzitierten Customer Journeys ist im B2B Kontext deutlich komplexer, da kundenseitig oft mehrere Personen in den Kaufentscheidungsprozess eingebunden sind. Informationen zur Leadgewinnung, die beispielsweise durch Online-Kampagnen gewonnen werden, werden dem Vertrieb zu oft noch „über die Mauer“ geworfen. Mit welchen Interessenten der Vertrieb auf einer Messe Kontakt hatte, bleibt dem Marketing oft vorenthalten, sodass eine personalisierte Ansprache nicht möglich ist. Die Synchronisation von Marketing, Vertrieb und Service in einem Multi-Channel Konzept wird von elementarer Bedeutung sein.
Bei einem stärkeren Onlinevertrieb muss auch eine entsprechende Kommunikation mit dem Direktvertrieb stattfinden, der direkt „seinen“ Umsatz und damit einhergehend seine Verdienstmöglichkeiten gefährdet sieht.
Auch für bestehende IT-Dienstleister wird es nicht mehr ausreichend sein, nur technische Monolithen zu beraten und umzusetzen. Das inhaltliche Verständnis der Geschäftsprozesse und die Führung der damit einhergehenden Veränderungsprozesse wird ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal im Markt sein.
Die Corona-Pandemie liefert keine grundlegend neuen Erkenntnisse in Bezug auf einen digitalisierten Handel. Allerdings beschleunigt sie die Notwendigkeit von Anpassungen in allen Unternehmensbereichen. Die Fähigkeit, schnell auf organisatorische und prozessuale Veränderungen eingehen zu können sowie die Erkenntnis, dass ein Onlineshop niemals „fertig“ ist, entscheidet über den zukünftigen Unternehmenserfolg.